Heimaturlaub und Zeit für ein Resümee

23 Dez
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In China gibt es unser Weihnachten nicht und während wir am 24./25. Dezember üblicherweise mit der Familie besinnlich zusammen sind und uns mit gutem Essen und Geschenken erfreuen, geht das Leben hier einfach ganz normal und ungebremst weiter. Das und die Tatsache, dass viele von uns Expats ihre Familien aufgrund der Entfernung nur selten sehen, führen dazu dass die meisten Westler Weihnachten und Neujahr nutzen, um nach Hause zu fliegen und Verwandtschaft und Freunde zu treffen.

So mache auch ich mich heute auf den Weg in die „Heimat“ – wobei ich mittlerweile gar nicht mehr genau sagen kann, wo denn nun „zu Hause“ ist. China ist ja mittlerweile auch eine Heimat mit vielen guten Freunden geworden.

Nun bin ich seit genau sechs Monaten zum Arbeiten und Leben im Reich der Mitte und fühle mich bereit, während ich im Flieger nach Europa sitze, ein erstes Resümee zu ziehen:

Dazu fallen mir zuerst die Worte eines Bekannten ein, mit dem ich mich vor kurzem über China unterhalten habe. Er ist einiges älter als ich, kurz vor der Rente und arbeitet seit vielen Jahren hier. Auf die Frage, was ihn hier halten würde antwortete er: „The grass is just greener over here these days“. Und ich finde er hat damit zumindest teilweise recht. Während in Europa ganze Länder pleite gehen und Amerikaner in ihren Autos wohnen müssen, weil sie sich ihr auf Pump gekauftes Leben nicht mehr leisten können, geht es hier mit einer unglaublichen Geschwindigkeit stetig aufwärts. Die Wirtschaft wächst jedes Jahr zweistellig, China ist seit letztem Jahr der grösste Automobilmarkt, die zweitgrösste Volkswirtschaft, der grösste Investor in Indien und Afrika und hat noch immer unglaubliches Potential. Es herrscht enorme Aufbruchsstimmung und es macht Spass Teil zu sein und zuzusehen, wie sich dieses Land in einem drastischen Tempo verändert. Während in Shanghai noch vor 10 Jahren keine Autos fuhren und der heute hypermoderne Stadtteil Pudong noch eine Wiesenlandschaft war, glänzt diese Stadt heute als eine der modernsten Metropolen der Welt mit jeglichem Komfort und Überangebot, wie man es bisher aus New York, Dubai oder London kannte.

So konnte ich diesen Sommer die unglaublich professionell organisierte Expo erleben, in dem sich dieses Land mit einer enormen, neugewonnenen Selbstsicherheit präsentierte. Erst vor einer Woche brach ein chinesischer Passagierzug den Geschwindigkeitsrekord für High-Speed-Züge und jeden Tag fahre ich in der modernsten Metro, die ich je gesehen habe zur Arbeit und gehe in Clubs, Einkaufszentren und Restaurants, die in Deutschland und der Schweiz ihresgleichen suchen. Dazu liest man täglich in deutschen Zeitungen von neuen Superlativen aus dem fernen Osten

Und das alles ist erst der Anfang: Neben Shanghai, Peking und einer hand voll weiterer Grossstädte, die mittlerweile über westliches Niveau herausgewachsen sind, gibt es in diesem Riesenland noch unglaublich viele Menschen und Regionen, die ebenfalls teilhaben wollen am neuen Wohlstand und dem Aufschwung. Das Potential ist enorm und so bin ich davon überzeugt, dass China noch viele Jahre der Schmelzziegel der Weltwirtschaft sein wird. Und damit findet auch eine enorme Machtverschiebung vom Westen nach Asien statt. Ich bin überzeugt: Wer in Zukunft teilhaben will am Aufschwung, der kommt um Asien nicht herum.

Es ist sehr spannend, diese ganze Entwicklung „live“ miterleben zu dürfen und zuzusehen, wie sich nicht nur das Land, sondern auch die Gesellschaft verändert.  Natürlich hört man gleichzeitig von der Friedensnobelpreisverleihung und bekommt vor Augen geführt, dass die wirtschaftliche Entwicklung zwar enorm ist, Meinungsfreiheit und Menschenrechte aber noch in weiter Ferne sind. Dazu gibt es verschiedene Meinungen und ich möchte dieses Thema an dieser Stelle auch gar nicht ausdiskutieren. Aber ich kann dazu sagen, dass ich hier täglich weltoffene, selbstbewusste und durchaus auch gesellschafts- und regierungskritische, junge Menschen kennenlerne, die absolut nicht das Gefühlt vermitteln, dass China so anders ist wie man es sich vorstellt und sie als unmündige, unterdrückte und ausgelieferte Wesen durchs Leben gehen.

Zusammenfassend muss ich sagen, geht es uns hier schon sehr gut. Wir leben einen vergleichsweise hohen Standard (den noch relativ niedrigen Kosten hier sei dank) in einer sehr sicheren und modernen Stadt, lernen ständig neue und sehr nette Menschen kennen und erleben vor allem jeden Tag wieder ungewöhnliches, spannendes und teilweise auch befremdliches kennen. Wenn man von der schlechten Luft und der fehlenden Natur mal absieht, dann kann man es hier durchaus auch länger aushalten und vor allem gibt es nicht nur in Shanghai, sondern in diesem ganzen, verdammt grossen Land noch unglaublich zu sehen.

Wir hatten ja schon einige Besucher da und alle waren sie sehr begeistert von der Vielfalt und Gastfreundschaft dieses Landes und vor allem berichteten sie alle, dass sie es sich ganz anders vorgestellt hätten. Wir haben halt noch immer das Bild von den Chinesen mit dem Strohhut im Kopf, der ausschliesslich Hund und Reis isst und sich mit dem Fahrrad fortbewegt. Ich kann nur jedem nahelegen, sich einen Flug hierher zu kaufen und ein eigenes Bild zu machen.

Nun freue ich mich auf die Schweizer Berge, das europäische Essen, die frische Luft und Natur und die lieben Freunde „zuhause“, wohl wissend, dass ich mich in zwei Wochen auch wieder auf das Zuhause in Shanghai freuen werde.

In diesem Sinne euch allen und eueren Familien erholsame und friedliche Festtage und einen guten Start ins neue Jahr. Dann geht es hier auch wieder weiter.

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