662 Tage

1 Apr
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Das wars. Die Zeit in China ist vorbei. Diesen Artikel schreibe ich bereits nicht mehr aus Shanghai, sondern aus dem beschaulichen, grünen Zürich. Nach 662 Tagen seit meiner Ankunft in Shanghai als das Ende in 2 Jahren noch unglaublich weit weg schien, ging dann zum Schluss doch alles auf einmal ganz schnell. Diverse Abschiedsfeiern mit Kollegen und den zahlreichen Freunden die wir während der Zeit hier kennengelernt haben füllten die letzten Wochen. Ausserdem galt es alles noch einmal auszunutzen, was man zuhause nicht mehr haben wird: Die letzten Einkäufe beim Fake- und Fabricmarket zum Beispiel, oder die letzten Fuss- oder Ganzkörpermassagen für knapp 20 Euro die Stunde. Und dann natürlich das letzte Mal Essen bestellen über den Online-Bestelldienst Sherpas und dem McDonalds home-delivery service, der letzte Cobb-Salad bei Element Fresh, die letzten Drinks in einer der unglaublich coolen Roof-Top-Bars und das letzte mal so richtig chinesisch Essen: In einem separaten, privaten Raum mit einem grossen, runden Tisch mit der bekannen Glas-Drehscheibe in der Mitte, 20 guten Freunden und ohne jegliche Tischmanieren. Das ist übrigens etwas was ich zurück in Europa tatsächlich vermissen werde. Nicht das Essen ansich, auf die Knochen im Chicken, Entenzungen, Hühnerfüsse und diverse andere Exoten kann ich gut verzichten. Aber die chinesische Esskultur generell wir mir fehlen: Dass man zusammen an einem grossen Tisch sitzt, unzählige, unterschiedliche Gerichte bestellt und alles teilt. Und gleichzeitig gibt es keinerlei Regeln.  Es wird gespuckt, geschmatzt, getrielt, am Tisch geraucht und mit vollem Mund gesprochen und typischerweise sieht der Tisch nach dem Essen aus wie wenn eine Horde Hyänen da durch wäre. Es geht eben ums Essen, darum satt zu werden und nicht darum wie in Europa das Mahl als grossen Akt zu zelebrieren.

 

Die Esskultur wird aber natürlich nicht das einzige sein, was mir in Europa fehlen wird. Auch die bereits erwähnten, unglaublich guten und extrem günstigen Massagen, die billigen Taxifahrten (für 2,50 Euro einmal durch die Stadt), der Friseurbesuch für 5 Euro, der Wäscheservice im Haus (ca. 20 Euro für zwei volle Säcke Wäsche inkl. Hemden und Anzüge, gewaschen, bebügelt, gefaltet und säuberlich in Plastikfolie verpackt), die extrem guten Bars und Clubs, der Bund, die Sicht von der Bar Rouge auf selbigen, die Skyline bei Nacht, die massgeschneiderten Hemden für 10 Euro, die unkomplizierten Städtetrips nach HongKong, Peking, Malaysia, auf die Philippinen und so weiter und so fort werden mir zuhause sicher mindestens genauso fehlen.

 

Und auch wenn ich erst mal froh bin nicht mehr täglich ab dem Verlassen des Apartments von abertausenden, drängelnden, oft nicht gut riechenden und ungepflegten Chinesen umgeben zu sein, so werde ich ihre pragmatische Macherart, ihre Herzlichkeit und ihren unglaublichen Ehrgeiz doch vermissen. Auch wenn mit ihnen ALLES (auch simpelste Allltagsthemen) und IMMER erst einmal zum Problem (gemacht) wird und in der Regel zu einem riesen Chaos führt (letztes Beispiel war der Kauf von 6 Flaschen Wein in einem sehr guten Supermarkt, die ich EINZELN in Tüten verpackt haben wollte, weil ich sie später einzeln verschenken wollte – das wurde dann zur Riesenübung und zum Schluss bedienten mich 5 Verkäuferinnen und bis ich 6 Wein bezahlt hatte vergingen ruhig 40 Minuten) dann finden sie am Ende dann doch immer eine gute Lösung und oft war ich überrascht über die Kreativität und Pragmatik mit der sie oft doch ans Ziel kommen.

 

Doch auch wenn all diese Annehmlichkeiten in der Schweiz erst einaml vorbei sein werden, so freue ich mich doch zurück zu sein. Erst gestern war ich zum ersten Mal seit meinem Marathontraining in der Natur laufen, habe die frische, unverpestete Luft geatmet, aus Brunnen  mit kaltem Quellwasser getrunken, die Aussicht auf den See und die Berge und diese beshauliche Stadt genossen. Gleichzeitig schmecken die frischen Früchte und das Gemüse hier einfach viel besser, auch mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass hier sicherlich keine giftigen Chemikalien beigemischt werden und das Schwein oder Rind dessen Fleisch man isst nicht sein Leben lang mit Antibiotika und anderen Medikamenten gefüttert wurde.

 

Dennoch schaue ich zurück auf 662 unglaublich ereignisreiche, spannende, abwechslungsreiche und absolut unvergessliche Tage in China. Dieser Auslandsaufenthalt war mehr als nur eine Entsendung, es war eine bereichernde Lebenserfahrung, ein Ausflug in eine ganz andere Welt und Kultur die mich gelernt hat einiges was in Europa selbstverständlich ist wieder zu schätzen zu wissen (z.B: Trinkwasser aus dem Wasserhahn, frische Luft, ein funktionierendes Gesundsheitssystem, freies Internet, funktionierende Ämter). Ein Erlebnis, welches ich nicht missen möchte und auf jeden Fall jedem empfehlen kann. China wird  unsere Wirtschaft die nächsten Jahre und langfristig auch unsere Kultur unvermeidlich beeinflussen, dies wird einem erst recht bewusst, wenn man dort eine Weile gelebt hat und das massive Wachstum, die schnelle Entwicklung und das enorme Potential dieses Landes, aber auch die sehr gut ausgebildeten und extrem ehrgeizigen und arbeitswilligen Menschen live erlebt hat.  Da kann es sicher nicht schaden,  sich etwas mit ihrer Kultur zu beschäftigen. Ich habe es genossen.

 

Dieser Blog ist hiermit beendet. Vielen Dank fürs Mitlesen, das zahreiche Feedback, die Mails und Kommentare. Eine Fortsetzung wird in Form eines Buches erscheinen. Weitere Informationen bald hier.

 

Und zum Abschluss: 662 Tage Shanghai in 100 Bilder.