Happy new year

31 Dez
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Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht, wenn man viel erlebt. 2011 war das vermutlich kürzeste Jahr in meinem bisherigen Leben mit extrem vielen Erlebnissen. Zum einen ging unser Monsterprojekt hier erfolgreich live, zum anderen sind wir sehr viel gereist und auch sonst hatte dieses Jahr einiges zu bieten: Wir waren in Harbin im äussersten Norden, in Malaysia, auf den Philippinen, mehrmals in Hong Kong, in Guilin, Tsingdao, Peking, Kashgar in Westchina und auf Xiamen, dem bisher schönsten Ort in ganz China in meinen Augen.

Ausserdem haben über 20 Besucher aus aller Welt unser Gästezimmer belebt und unseren Alltag hier bereichert, ich bin im A380 Cockpit gefogen und ein persönliches Highlight zum Jahresende war natürlich der absolvierte Shanghai Halbmarathon, der durch das Training über das letzte halbe Jahr dieses 2011 erheblich mitbestimmt hat und dazu führte, dass meine Anzughosen endlich wieder passten (was jetzt nach den Weihnachtstagen bereits wieder nicht der Fall ist und darum ist das Ziel für 2012 ein ganzer Marathon – wer noch mit einsteigen will ist herzlich willkommen).

Gerade komme ich aus der Schweiz zurück, wo ich wie jedes Jahr traditionell die Winter- und Pistensaison mit vielen netten Freunden eröffnet und anschliessend Weihnachten mit meiner Familie in den verschneiten Bergen gefeiert habe. Es ist doch jedes mal wieder erstaunlich, wie sehr man die ruhe, das Fehlen der spuckenden, rülpsenden und drängelnden Chinesen, die frische Luft, das gute Essen, das trinkbare Hahnenwasser und vernünftig isolierte Räume mit echten Heizungen auf einmal wieder zu schätzen weiss, wenn man es nicht jeden Tag hat.

Nun sind wir zurück im heute über 10 Grad warmen Shanghai und werden Silvester heute mit einer Houseparty und später am Bund, der Uferpromenade Shanghais, mit Live-Musik, Lasershow und Feuerwerk begehen. Dafür, dass die Chinesen weder unser Weihnachten, noch das westliche Neujahr in ihrer Kultur verankert haben, wird beides hier ganz gross gefeiert. Das gilt übrigens auch für alle möglichen, anderen Feste weltweit. So sind auch Thanksgiving und Halloween hier ganz gross, obwohl das Land keinerlei historischen Bezug dazu hat. Es geht aber auch gar nicht um die Tradition: Hier wird einfach jede Möglichkeit genutzt, ein Ereignis kommerziell zu vermarkten und so wechseln die Dekorationen in den Kaufhäusern und Strassen schneller von Weihnachtsengel zu Chinese New-Year Figuren und zu Osterhasen als man schauen kann. Die eigentlichen Ursprünge der westlichen Feiertage kennt hier keiner und so etwas wie Besinnlichkeit und Ruhe in diesen Tagen auch nicht. Weihnachten ist ein ganz normaler Arbeitstag. Das westliche Silvester hingegen wird obwohl das chinesische Jahr erst in rund einem Monat endet dann doch auch gefeiert, was uns zwei Feiertage und ein paar gute Parties einbringt.

2011 war ein sehr erfolgreiches, abwechslungsreiches und spannendes Jahr, mit vielen neuen und guten Freunden, vielen Eindrücken und Erlebnissen. Wir werden sehen, was 2012 bring. Euch allen und eueren Familien ein gutes, glückliches, erfüllendes und gesundes neues Jahr und vielen Dank fürs treue Mitlesen von diesem Blog und die zahlreichen Emails und Kommentare.

Von 0 auf 21

4 Dez
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Am Ziel: Nach unzähligen Stunden auf dem Laufband und der Tartanbahn und 21km auf der Strasse.

Am Ziel: Nach unzähligen Stunden auf dem Laufband und der Tartanbahn und 21km auf der Strasse.

Das Leben in Shanghai ist keine Kur – soviel ist gewiss. Hektisches Leben, kaum Natur, schlechte Luft- und Wasserqualität sind nicht gerade ein anti-aging Programm für den Körper. Kommen dann noch Stress im Job, exzessive Nächte in der mächtigen shanghaier Nachtszene und extrem gutes Essen in den zahlreichen, weltklasse Restaurants dazu sind ein schwabbelig-, überwichtiger Körper und tiefe Augenrige vorprogrammiert. Nachdem auch meine Anzughosen nach einem guten Jahr hier zunehmend enger wurden und die Motivation für Sport aufgrund Mangel an Freihimmelangeboten auf einem Tiefpunkt angelangte galt es Massnahmen zu ergreifen. Mit einem Kollegen entschied ich bei einem fettigen Mittagessen vor dem Computer, dass wir was tun müssen. Einen Anreiz schaffen, wieder Sport zu machen, ein Ziel setzen. Egal was. Und so kam es gerade recht, dass ich per Zufall vom Shanghai Marathon erfuhr. Ein Handschlag und der Deal war besiedelt. Wir würden im Dezember mitlaufen. Um realistisch zu bleiben und da wir beide keinerlei Läuferhistorie vorzuweisen hatten, nahmen wir uns nicht den ganzen Marathon, sondern den halben – sprich gut 21KM für den Beginn vor und das vereinbarte Ziel war “durchkommen”. Das war irgedwann im Juni 2011.

Rund 20.000 Läufer beim Aufstieg über die sprialförmige Rampe zur Nanpu Bridge

Rund 20.000 Läufer beim Aufstieg über die sprialförmige Rampe zur Nanpu Bridge

Genug Zeit zur Vorbereitung sollte also vorhanden sein und das Ziel schien nicht sonderlich herausfordernd. Dann begann das Training und schnell stellte sich heraus, dass wir die Rechnung ohne das Shanghaier Klima gemacht hatten. Unerbärmlich heisse Sommertage und Luftfeuchte weit über 90% liessen an ein Lauftraining im freien von Juni bis Oktober nicht denken und so waren es die Laufbänder in Shanghai und Changzhou, auf denen wir unsere Laufkarrieren starteten. Mindestens zweimal wöchentlich verbrachte ich fortan langweilige und vorerst frustrierende Stunden auf der Tretmühle in den stickigen Gyms – glotze während ich da vor mich hin trottete entweder auf mich selbst im Spiegel oder in den Fernseher, auf dem wahlweise Nachrichten oder Tiersendungen kamen. Die ersten Lauferfahrungen waren frustrierend: Obwohl ich mein Leben lang immer Sport machte, vom Inlineskating, über das Biken bis hin zu Snowboarden, Hiken etc. und auch sonst einen eher aktiven Lebensstil pflege war anfangs nach 4km im Hamsterrad bei einer Geschwindigkeit von 8km/h schluss. Diese traurige vorstellung war dann zu beginn auch noch gekrönt von mehrtägigem Muskelkater und absoluter unlust, jemals in die Muckibude zurückzukehren.

Gedrängel am Start. Rund 20.000 Athleten aus 66 Nationen gingen am diesjährigen Shanghai Marathon an den Start.

Gedrängel am Start. Rund 20.000 Athleten aus 66 Nationen gingen am diesjährigen Shanghai Marathon an den Start.

Doch durchhalten war angesagt und bald stellten sich erste, wenn auch kleine Erfolge ein. Aus 4km wurden relativ schnell 6, dann 8 und schon bald über 10 und die Geschwindigkeit erhöhte sich ebenfalls langsam aber stetig. Der Muskelkater nach den Läufen verschwand und mit richtigen Laufschuhen, massenweise guter Musik auf dem Ipod und gescheitem Equipment stellte sich erste sowas wie Spass am Laufen, später mehr ein Drang nach Bewegung ein. Dann kam im Oktober der Herbst und ich entdeckte quasi direkt hinter unserem Compound auf dem Gelände der Shanghai University eine zwar nicht sonderliche spannende aber doch im freien gelegene Tartan-Rundbahn. Fortan lief ich nicht mehr auf der Stelle, dafür aber im Kreis. Dennoch eine deutliche Verbesserung. Dann bald das erste Tief: Von heute auf morgen bekam ich nach jedem Lauf sogenannte “Sheen Splints” – auf deutsch auch Schienbeinkantenkrankheit genannt. Das sind stechende Schmerzen an den Schienbeinseiten, welche nach dem laufen auftreten und über Wochen nicht abheilen. Dabei tun auch ausserhalb des Trainings normale Schritte und vor allem Treppen unglaublich weh – ganz zu schweigen von den Schmerzen beim Lauftraining selbst. Die einzige Abhilfe bei Sheen Splints ist eigentlich mehrere Woche Laufruhe, was bei meinem Trainingsplan leider nicht möglich war. Und so versuchte ich es mit anderen Schuhen, mit anderen Laufstilen und mit dem Meiden des Laufbands, welches meiner Meinung Ursache des Übels war. Alles half nix und so gab es nur eine Möglichkeit: Zähne zusammenbeissen und mit Schmerzen laufen. Dabei kam der 4. Dezember – der Tag des Laufes immer näher.

Läuferteam vor dem Start. Bei frischen 4 Grad war morgens um 6 Uhr 30 "Check In" für unser Team bestehend aus 4 Nationalitäten.

Läuferteam vor dem Start. Bei frischen 4 Grad war morgens um 6 Uhr 30 "Check In" für unser Team bestehend aus 4 Nationalitäten.

Eine Woche vor dem Termin dann Generalprobe. Mitlerweile auch mit Puls- und GPS-Uhr ausgestattet zog ich über 18km meine Kreise auf der Bahn und versuchte dabei Puls und Rundenzeit unter Kontrolle zu behalten. Die Beine schmerzten nach 15km fas nicht mehr aushaltbar und der schanghaier Spätsommer mit Temperaturen noch immer um die 24 Grad im November machte den Probelauf zum Desaster. Am Schluss kam ich mehr schlecht als recht bei KM18 and und entschied mich dennoch, den Wettkampf anzugehen. Die Anmeldung lag damals schon Monate zurück. Startnummern, Chip, Kleidersack und jede Menge Papiere mit Informationen vor dem Lauf abgeholt und dann am Abend vor dem Ereignis früh ins Bett, denn – das musste ich lernen – Läufer sind Frühaufsteher. Bereits um 6.30 Uhr morgens musste man sich im Startbereich einfinden, während der Start rund eine Stunde später noch während der Morgendämmerung geplant war. Das hiess um kurz nach 5 Uhr aufzustehen (übrigens genau die Zeit in der mein Körper geradezu nach Höchstleistung schreit) und bei eisigen Temperaturen um die 5 Grad an den Bund zu fahren, wo der Lauf begann. Kleider im Kleidersack und dann im nummerierten Bus verstaut, noch ein Snickers eingeworfen (Power Riegel konnte ich trotz besten Bemühungen in Shanghai keine finden) und in die Startreihe für den Halbmarathon gestellt. Rund 20.000 andere Läufer aus 66 Nationen waren hier versammelt – ein unglaubliches Bild und vor allem eine tolle Atmosphäre. Kurz vor dem Start gab meine Garmin GPS-und Pulsuhr den Geist auf. Die Digitalanzeige war tot, keine Informationen mehr über meine Vitalfunktionen, Pace und Distanz. Dabei habe ich mich im Training daran gewohnt, meinen Laufstil vor allem dem Puls anzupassen. Alle Reanimationsversuche blieben erfolglos und so musste es eben ohne gehen. Pünktlich um 7:30 dann nach der obligatorischen Nationalhymne der Startschuss und diese unglaubliche Menschenmasse setzte sich langsam aber sicher in Bewegung. Dem Bund entlang ging es zur über rund 2km langen, stetig auf 50m ansteigenden, korkenziehergeformten Rampe zur Lupu-Bridge, dann über den Hangpu River, auf der anderen Seite wieder runter und auf der Pudong-er Seite dem Fluss entlang. Bei KM 10 stand die Uhr knapp über einer Stunde und bisher lief es ganz gut – auch ohne Pulsüberwachung. Unterwegs stellte sich wieder heraus, wie anders die Chinesen doch sind. Neben Läufern in Spyderman-Kostüm (inkl. Maske), Pandabärmützen und Catsuites war auch ein Kollege dabei, welcher rückwärts lief (und zwar beachtlich schnell), einer, welche einen ca. 2m langen Holzpfosten auf der Schulter mitnahm und diverse Kleingruppen von Laufteilnehmern, welche sich spontan auf der Strecke sammelten, anhielten und für Fotos posierten.

Markus Köpfli Shanghai Marathon

Im Ziel mit Kelley und Maria: Mit schmerzenden Beinen aber glücklich.

Ich selbst versuchte mehrfach an einem der Getränkestände zu stoppen um meinen Durst zu löschen. Leider jedoch waren diese so belagert, dass daraus nix wurde und so lief ich eben weiter. Ab KM15 wurde es dann zäh. Ewig lange ging es stur geradeaus, die Sonne kam heraus und die Hitze wurde anstrengend und die vorbelasteten Schienbeine fingen an zu schmerzen. Auf  etwa gleicher Höhe kreuzte sich die Halbmarathon-Spur mit der des 42km Marathons, wo gerade die Spitzengruppe (5 Kenianer) KM 29 passierten – in ungefähr dreifacher Geschwindigkeit der meinen und ohne jeglichen Anflug von Anstrengung auf dem Gesicht. Nun ja, ist ja auch ihr Job und vermutlich trainineren die Kollegen nicht nur auf dem Laufband. Zwischen KM 16 und 18 schien der Körper dann noch einmal Kräfte zu sammeln bevor an meinem bisherigen Trainingslimit, der 18km Marke langsam die Energie ausging. Die überall am Strassenrand gröhlenden Zuschauer trieben den Läuferpulk jedoch weiter an. Von km19 an ging es dann noch einmal fies und stetig über eine Brücke hinauf und von da herunter und um die letzte Kurve in die Zielgerade. Die Uhr stoppte für mich an der Ziellinie nach 2 Stunden und 10min., das ist Platz 3133 und bei weitem mehr as ich persönlich erwartet hätte. Wie es jetzt mit der Läuferkarriere weitergeht ist ungewiss. Zwar habe ich über das letzte Jahr fast 6kg abgenommen, fühle mich viel fitter und bin besser gelaunt durch das regelmässig Training – andererseits waren die einsamen Stunden auf dem Laufband wie Folter und Shanghai ist sicher keine Läuferstadt. Erstmal hoffe ich, dass sich meine Beine bis morgen soweit erholt haben, dass ich wieder normal gehen kann (was im Moment nicht der Fall ist) und dann sehen wir weiter…